
In Mickeys Wunderland sollen nicht alle Mäuse gleich sein. Minnie wurde über Jahre benachteiligt und Disney verspricht, dass im Wunderland bald wieder Frieden einkehrt.
In etwa so liesse sich der Aufstand von Minnie und ihren Freundinnen beschreiben, wenn es nicht um Mitarbeitende des globalen Medienkonzerns The Walt Disney Company ginge und die Anschuldigung der Klageschrift nicht ein durchaus ernst zu nehmendes Thema wäre, das nun auch Disney mit der Nachzahlung von 43 Millionen Dollar an seine weiblichen Beschäftigten, einzusehen scheint.
Wie aber kann es überhaupt so weit kommen in einem riesigen Medienkonzern mit einem professionellen Human Resources Management?
Ich werde diese Frage auch nicht beantworten können. Doch kann ich Ihnen anhand der folgenden Geschichte exemplarisch erklären, wie es zu Lohnungleichheit zwischen den Geschlechtern kommen kann.
Von: Mexhit Ademi, Vergütungsexperte
Im Prinzip ist es einfach zu verstehen, wenn Sie bereit sind, sich auf eine Geschichte, inspiriert von einer Comic-Figur, einzulassen. Begeben Sie sich doch für die nächsten 10 Minuten auf eine Reise in Mickeys Wunderland.
Wer jemals Mickeys Wunderhaus geschaut hat, der weiss, wer der Mäuserich im Haus ist. Wer also die Hosen anhat.Mickey ist der geniale Held der Sendung. Er ist die schlauste Figur und bei weitem schlauer als jeder Hund, der mitspielt, inklusive der gute alte Goofy, bei dem ich nie verstanden habe, wieso er sprechen kann und Pluto, der Haushund eben nicht. Ich musste nämlich eine Zeit lang sehr intensiv über diese Frage nachdenken, als mich mein Sohn damals genau dies fragte. Ob das auch irgendwie auf eine Diskriminierung im Hause Disney hinweisen könnte, ist ohne viel Fantasie nur allzu schwer zu analysieren. Auch die Antwort gab sich mein Sohn wohl dann irgendwann selber als er älter wurde – dass es eben nur eine Comic-Figur ist. Und in einem Comic ist alles erlaubt.
Wie auch immer die Hierarchie der Tierarten im Wunderhaus ist, eines fällt auf: Minnie ist niemals so wichtig wie Mickey. Bei Daisy und Donald bin ich mir nicht so sicher, da ich schnell moralisch werde und ich viel mehr Sympathie für Daisy habe als für den geizigen Donald. Doch Mickey hat nun mal einen tadellosen Charakter. Minnie auch. Aber ….
Mickey ist schlauer. Zumindest glauben wir, das so zu erkennen. Er ist der Anführer. Er weiss alles und findet für jedes Problem eine Lösung. Er ist der charismatische, liebenswürdige und emphatische Leader. Er hat eine angenehme, väterliche Art, zu belehren und liebevoll auf Fehler hinzuweisen. Er kommt nie aus der Fassung und wird nie böse. Er behandelt alle Freunde und sogar den fiesen Hund Carlo (der komischerweise im Gegensatz zu Pluto sprechen kann) gut und bleibt stets höflich und lösungsorientiert. Minnie ist seine Freundin oder Frau (so ganz genau habe ich das nie verstanden). Auf jeden Fall ist sie die loyale Partnerin an Mickeys Seite. Sie berät ihn, hilft ihm, weist ihn auf Fehler hin oder bringt eigene Ideen ein, die aber Mickey stets bestätigen muss, damit sie umgesetzt werden. Was Mickey ohne jeden falschen männlichen Stolz auch tut, denn wie gesagt, er ist schlau, respektvoll und wer auch immer behaupten möge, Mickey sei arrogant, der hat ganz gewiss Unrecht. Soweit das Selbstverständnis der Rollenteilung im Wunderhaus. Allzu schwierig dürfte es nicht sein, diese Erkenntnis zu gewinnen, kennen wir doch das traditionelle Familienmodell alle.
Stellen wir uns nun vor, Mickey und Minnie gründen zusammen eine IT-Firma und entwickeln eine KI-basierte Software, welcher die Weisheit von Mickey als Grundlage für Lösungsansätze dient. Das Unternehmen hat einen exzellenten Start, da es ihnen gelingt, die legendäre Toolbox zu virtualisieren und auf Smartphones zu laden. Sie hat dank der Mickey-KI die Fähigkeit, auf die konkrete Problemstellung einzugehen und Lösungsansätze auf Basis von Mickeys Denkweise vorzuschlagen. Genial, oder?
Das Unternehmen wächst schnell und es müssen immer mehr Leute eingestellt werden. Hauptsächlich Programmierer und weitere IT-Fachleute. Mickey ist der innovative CEO und führt die Firma dank seiner ausgeprägten analytischen, wie auch emotionalen Intelligenz mit einem ausbalancierten Inventar an Führungsstilen. Die Mitarbeitenden fühlen sich wertgeschätzt, sind motiviert und tragen zu einem aussergewöhnlichen Erfolg bei.
Irgendwann ist das Unternehmen sehr gross und wird dank dem Börsengang von Mick’s-Bot Corp. zu einem hoch kapitalisierten globalen IT-Konzern. Mickey verlässt bald daraufhin das Unternehmen. Ein erfahrenes Management Team übernimmt und will auch sogleich unwiderruflich seine Markierung setzen und beginnt mit einer Umstrukturierung der Organisation. Erstaunlicherweise macht Minnie jetzt einen grossen Karrieresprung. Sie wird von der HR-Administratorin zur neuen Head of People Management – Global Head of People Management!
Unter der neuen Führung von Minnie beginnt eine neue Ära im Human Capital Management. Jobs werden re-designt, die Hierarchie wird flacher, Prozesse vereinfacht und vor allem werden einige Stellen, die unter Mickey anscheinend unnötigerweise geschaffen wurden, abgebaut. Es entsteht eine Organisation mit kürzeren Kommunikationswegen und ganz neuen „sexy“ Jobtiteln. Ganz modern. Minnie möchte mehr Frauen in die Top-Positionen bringen und startet ein Programm zur Förderung von jungen weiblichen Talenten. Man hat nämlich festgestellt, dass in Mickeys Organisation 70% der Führungskräfte Mäuseriche waren. Das soll sich jetzt ändern.
Und jetzt kommt der heikle Teil: Wie sieht denn die Vergütung aus? In einem IT-Betrieb im Start-Up-Modus arbeiteten anfänglich einige Freaks, die von Mickeys Idee besessen waren und quasi in Mickeys Hirn eindringen konnten, um zu verstehen, wie die auf Mickeys Denkweise basierte KI entwickelt werden soll. Die damaligen Freaks sind mittlerweile in Top-Positionen und sehen auch schon braver aus als zu Mickeys Zeiten, auch wenn Mäuse Krawatten eher nicht so bevorzugen. Sie haben massgeblich zum Erfolg der Firma beigetragen, ihn ja überhaupt möglich gemacht. Doch sie sind zunehmend marginalisiert. Sie gelten als altmodisch, nicht gerade flexibel was innovative Führungsmodelle angeht.
Unter ihnen hatte sich eine Organisation entwickelt, in der männliche Mäuse in den technischen Jobs und in den Führungsfunktionen dominierten. Es gab nur sehr wenige Entwicklerinnen. Da die KI-Entwicklung die Kernfunktion im Unternehmen ist, war eine Karriere in Mickeys Firma fast nur aus dieser Disziplin heraus möglich. Dies hatte zu einer demographischen Realität geführt, die von Minnie in einem internen Memorandum als „nicht gerade förderlich für weibliche Mäuse“ beschrieben wurde. Sie versprach mehr Chancengleichheit.
Sodann startete ein Projekt zur Entwicklung eines fairen und transparenten Lohnmodells. Sämtliche Jobs wurden bewertet – einheitlich und objektiv. Darauf basierend hat das beauftragte Beratungsunternehmen Funktionsstufen entwickelt und Lohnbänder definiert, welche auch Regeln zur Positionierung der einzelnen Mäuse innerhalb der jeweiligen Lohnbänder enthalten und die Wettbewerbsfähigkeit auf dem Rekrutierungsmarkt sicherstellen.
Nach einer ersten Analyse stellte man fest, dass es auf einigen Funktionsstufen erhebliche Lohnunterschiede zwischen männlichen und weiblichen Mäusen gab. Minnie führte auch eine Analyse durch, aus der sie zur Erkenntnis gelangte, dass die weiblichen Mäuse im Schnitt 23% weniger Lohn erhielten! Und diese Diskrepanz liess sich auch nicht durch Bildungsunterschiede erklären. Weibliche Mäuse mit sogar demselben Jobtitel wie männliche Mäuse verdienten weniger, auch wenn dieser Unterschied wesentlich geringer als 23% betrug. Minnie stand erschüttert vor einer Realität, die sie nie für möglich gehalten hätte. In ihrer eigenen Firma eine derartige Ungleichheit!
Nach weiterführenden Analysen des beauftragten Vergütungsexperten offenbarte sich ein eindeutiges Muster in der Vergütungsstruktur.Unter Mickeys alter Führungsgarde war das Unternehmen schnell gewachsen. Neue talentierte Mitarbeitende wurden in einem atemberaubenden Tempo rekrutiert und dank der guten Einnahmen wurden auch sehr grosszügige Löhne bezahlt, quasi als Entgelt für unregelmässige Arbeitszeiten, relativ bescheidene Arbeitsplatzsicherheit (Mickeys «hire and fire» Politik) und Dauerstress mit immer kürzer werdenden Deadlines. Diese Umstände hatten sich erst mit der neuen Führung geändert, als Prozesse vereinfacht, Verantwortlichkeiten klar geregelt und Kompetenzen neu verteilt wurden.
Die Berichte des Vergütungsexperten zeigten auf, wie unter Mickeys Führung eindeutig mehr gut bezahlte männliche Mäuse eingestellt wurden, da es einerseits auf dem Markt für diese Profile mehr männliche Mäuse gab und andererseits die Arbeitsbedingungen viele weibliche Kandidaten abgeschreckt haben müssen. So entstand eine Vergütungsstruktur mit überwiegend besser bezahlten männlichen und überwiegend tiefer bezahlten weiblichen Mäusen. Zu Mickeys Zeiten waren diese Lohnunterschiede auch klar abhängig von der ausgeübten Funktion, denn wie gesagt, die höher bezahlten Jobs waren für viele weiblichen Mäuse gar nicht attraktiv und daher wurden sie vermehrt mit männlichen Mäusen besetzt.
Erst mit der neuen Organisation begann eine Art Balancierung der Geschlechter innerhalb aller Funktionen, indem vermehrt weibliche Mäuse gefördert wurden. Man stellte nun fest, dass man nicht eine Lohnungleichheit per se hat, sondern eher geschlechterspezifische Senioritätsunterschiede innerhalb der unter Mickey als «harte Jobs für harte Jungs» genannten Funktionen hatte. Es standen sich in diesen Jobs eher junge motivierte weibliche Mäuse und alteingesessene Mickey-ianer gegenüber, welche die fetten Jahre unter Mickey erlebt hatten und somit auch wesentlich mehr verdienten als die jüngeren Kolleginnen, die zumeist noch ihre Lernkurve vor sich hatten.
Auch stellte man in den Analysen fest, dass in den nicht-technischen Funktionen die Lohnunterschiede inexistent waren. In den Führungsstufen konnte man kaum von Ungleichheit reden, so sehr wie die Frauen untervertreten waren.
Minnie konnte aufatmen. Die Lohnpolitik ihrer Firma war also nicht mausfeindlich und bevorteilte nicht die Mäuseriche. Dies hatte für Minnie auch eine ganz besondere persönliche Bedeutung. Denn Sie wusste jetzt, dass ihr Mickey kein diskriminierender Mäuserich war, sondern einfach ihr liebevoller Mickey, der unter den jeweiligen Umständen das bestmögliche getan hatte. Dazu gehörte auch, dass er das Unternehmen zur richtigen Zeit an eine neue Führung übergab. Dann als er merkte, dass seine vorwiegend intuitive Strategie nicht mehr lange Erfolg haben dürfte. Das war ihr Mickey! Der stets die richtigen Entscheidungen zu treffen wusste.
Und so leben sie immer noch glücklich zusammen und geniessen ihren Lebensabend an einem schönen Ort, weit weg von den Raubkatzen der Mergers & Acquisitions – natürlich auch dank der fetten Abfindung die Minnie erhielt, zu der ihr natürlich wiederum Mickey geraten hatte.
P.S. Diese Geschichte hat nichts mit der echten Mickey Maus Figur von Disney zu tun oder einer ihrer anderen Figuren, sondern ist reine Fiktion. Dennoch würde ich nicht abstreiten, wenn jemand im einen oder anderen Schweizer Unternehmen eine Parallele zu dieser Geschichte zu erkennen glaubt.
Wenn die Figuren in dieser Geschichte doch bekannten Comic Figuren ähneln sollten, dann hat das nur damit zu tun, dass ich für diesen Artikel Unterstützung von meinen Kindern hatte.
Mehr zur wahren Story hinter diesem Artikel: https://www.forbes.com/sites/kimelsesser/2024/11/26/disneys-43m-gender-pay-settlement-highlights-need-for-salary-history-bans/